Aus dem Reich der Toten - Die Gruppe Z am Allerseelentag
Allerseelen feiern
die Katholiken zur Erinnerung an die Verstorbenen, die somit für
die kurze Zeit eines Tages aus Ihren Gräbern steigen, um nach ein
paar Stunden Im Gedächtnis der Lebenden wieder zurückzusinken
ins Dunkel des Vergessens. So ähnlich jedenfalls feierte am Allerseelentag
zu später Stunde die Gruppe Z ihr Totenfest.
In einem-weiß gekalkten, kühlen Keller vor ein paar Zuschauern
und hinter einem Gazevorhang brennen zwei Kerzen. Ein paar Möbel
stehen herum, von weißen Leintüchern verhüllt. Links auf
einem Bett eine leblose Gestalt unter einem fahlen Laken, rechts eine
kauernde Gestalt, von einem schwarzen Tuch verdeckt. Lange Zeit geschieht
nichts. Aus Lautsprechern kommen gedämpft rasselnde, röchelnde
Geräusche, hin und wieder verwehte Klänge elektronischer Musik.
Die atemlose Katakombenstimmung wird ganz allmählich zum Horrorstück;
denn die vermeintliche Leiche beginnt sich zu regen. Unheimliche Schritte
hallen aus imaginären Gängen. Böcklin und Segal in lebenden,
scheinbar lebenden Bildern. Aus den zuerst kaum merklichen Bewegungen
wird dann doch so etwas wie Leben: langsam fällt das weiße
Leintuch vom Körper. Darunter ist er schwarz; er erhebt sich, er
wandelt gemessen, gleitet im Raum herum, entzündet weitere Kerzen,
schlägt ein Buch auf, sinkt erschöpft in einen Sessel. Die andere
Gestalt kriecht zum Lager, die erste erhebt sich wieder und löscht
die Lichter mit kurzen, entschiedenen Bewegungen. Die letzte Kerze verdämmert
ganz langsam, wie eine lange Abblende. Dann lange Grabesstille, schwärzestes
Dunkel.
Auf dem Theater wäre dieses Totenfest namens Doom ein Gag, ein Na-und-Stückchen
zum Achselzucken. In dem kühlen winzigen Keller unter einem ärmlichen
Wohnhaus voller lebender Leichen, war es eine schwarze Messe, ein Ausflug
in das Reich der Toten. Die unscharfe Schwarzweißzeichnung der Szene,
die sparsamen Bewegungen verliehen dieser Feier etwas von der schwarzen
Romantik mancher früher Gruselfilme, ohne - wie viele von diesen
- das Lächerliche zu provozieren.
Die wenigen Bewegungen der beiden Darsteller List und Kleinknecht saßen
exakt, nur das Entzünden der Streichhölzer störte durch
seine natürliche, nicht ins Unterdimensionierte gedehnte Geschwindigkeit.
Die Eindringlichkeit des Ganzen litt ein wenig auch unter der etwas zu
kurz geratenen Dauer des zweiten Teils, der dadurch, daß überhaupt
etwas geschah, zuviele Erwartungen provozierte. Doom entließ seine
Zuschauer nach einer Stunde trotzdem nicht ratlos, sondern eher sehr ruhig,
sehr berührt von einem starken, wenn auch nicht aufregenden oder
aktivierenden Erlebnis.
Wolfgang Längsfeld SZ, München am 5.Nov.1969